Seit dem Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling und dem nachfolgenden Film ist Pilgern in Deutschland wieder bekannter und fast schon ein neuer Trend geworden. Doch was ist eigentlich dieses Pilgern, warum tut man das und welche Wege gibt es? Und kann das jeder Mensch und wenn ja wie? Ich selber bin zwei der „kürzeren“ Wege gegangen und berichte im Folgenden von meinen Erfahrungen.

Die weitaus meisten Menschen gehen den vom nach innerer Einkehr strebenden Entertainer begangenen, klassischen und berühmtesten Camino Frances von der spanisch-französischen Grenze bis nach Santiago de Compostela. Doch nicht alle Pilgernden verfügen über einen Monat Freiraum oder die körperlichen Voraussetzungen, um die 850 Kilometer zu bewerkstelligen. Und so üben auch die weniger bekannten, aber in zwei bis drei Wochen machbaren Seitenwege wie der Caminho Portugues von Porto in Portugal oder der Camino Primitivo von Oviedo in Asturien ihre Anziehungskraft auf Interessierte aus.

Im Jahre 2007 machte sich der „Kerkeling-Effekt“ auf dem Camino francés bemerkbar. Kerkeling schrieb im Mai 2006 das Buch Ich bin dann mal weg über seine Pilgerreise auf dem Jakobsweg im Jahr 2001, das zum meistverkauften Buch des Jahres 2006 (über zwei Millionen verkaufte Exemplare) in Deutschland wurde. Nach Angaben der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft stieg die Zahl der deutschen Pilger, die bei ihrer Ankunft in Santiago registriert wurden, im Vergleich zum Vorjahr überproportional von 8.097 auf 13.837. Dabei waren zwölf Prozent aller Pilger, die in Santiago ankamen, Deutsche.

Quelle: Wikipedia

Warum pilgern?

Der eigentliche Sinn und Zweck „auf den Camino zu gehen“ ist heute die Suche nach innerer Einkehr, die nicht unbedingt religiös motiviert sein muss. Auch Kerkeling beschreibt sich in seinem Buch als Agnostiker, der nicht sicher ist, ob es einen Gott gibt, aber dem Weg mit einer grundsätzlichen Offenheit begegnet, die keine Eindrücke, Erlebnisse oder Erkenntnisse ausschließt. Ursprünglich lag dem Pilgern in sehr vielen Fällen eine kirchlich fundierte Motivation zu Grunde: Wer nach Santiago de Compostela pilgert, dem werden seit dem 15. Jahrhundert in den Jahren, in denen der Jahrestag des Heiligen Jakobus auf einen Sonntag fällt, von der katholischen Kirche alle Sünden vergeben. Man pilgerte in diesen Fällen also eher sekundär zur inneren Einkehr, sondern suchte Ablass. Statistisch war das Pilgeraufkommen in diesen Jahren damals vierzehnmal so hoch wie in regulären Jahren. Dies ist tatsächlich auch heute noch ähnlich, auch wenn das Aufkommen inzwischen nur noch der doppelten oder dreifachen gewöhnlichen Höhe entspricht.

Viele Menschen beginnen den Weg (darüber hinaus) als bequemen Wanderweg, auf dem man sich wenig Gedanken über Übernachtungsmöglichkeiten oder Versorgung machen muss. Die umgebende Infrastruktur auf den Wegen ist so gut, dass im Regelfall alle 10-15 Kilometer eine Herberge, Pension oder gleich eine kleinere Stadt mit Verpflegungsmöglichkeiten passiert wird. Alle Einheimischen kennen Pilgernde und ihre Bedürfnisse, und so muss man sich keine riesigen Gedanken machen oder eine akribische Planung ausarbeiten, wo wann wie auf dem Weg übernachtet werden muss. Zwar kann es in der Hauptsaison im Sommer sein, dass mal alle Betten in einer Herberge belegt sind, aber im Regelfall gibt es genug Auswahl an Unterkünften – und auf die Straße gesetzt wird sowieso niemand.

Pilgernde auf dem Weg

Besonders wählerisch sollten Pilgernde allerdings nicht sein, denn für einen Übernachtungspreis von 6 Euro in einer Herberge gibt es eben nur ein Bett mit Kopfkissen und gemeinsam zu nutzende, nach Geschlechtern getrennte und mit Kabinen ausgestattete Waschräume sowie meistens eine Küche zur Zubereitung von selbst mitgebrachten Lebensmitteln. Sauber ist es in den Herbergen immer – einzig der Zustand der Räumlichkeiten kann je nach Alter des Gebäudes und der Motivation der freiwillig sich engagierenden Hospitaleros stark variieren.

Wen es vor allem zum Wandern auf den Camino zieht, wird sich auch für die Natur interessieren. Auf dem portugiesischen Weg von Porto nach Santiago dominiert gerade zu Beginn viel Küste. Hier verbringen die Pilgernden fast die Hälfte des Weges am Atlantik. Auf dem Primitivo von Oviedo präsentiert sich dagegen eine wunderschöne, ursprüngliche und dünn besiedelte Hügellandschaft mit grandiosen Ausblicken in die Täler hinein. Solche Perlen in Form von wunderschöner Natur bieten sich auf den Wegen überall täglich. Allerdings müssen sich Pilgernde trotzdem darauf einstellen, öfter über Teerwege, Asphaltpisten oder an Straßen entlang zu wandern. Die Hauptsache der Wege ist dann eben doch das Pilgern an sich sowie eine solide Infrastruktur in diesem Zusammenhang, wodurch die Priorität in Bezug auf natürliche Wege inmitten der Natur zurückstehen musste.

Zimmer in einer hübschen und sauberen Herberge

Den Camino als Sportereignis zu betrachten, dieser Gedanke kommt bei manchen Pilgernden auch vor. Er steht aber wohl im krassesten Gegensatz zum Sinn des Weges, der ja eigentlich als Weg zur inneren Einkehr gedacht ist, gleichgültig ob religiös, spirituell oder meditativ. Jedoch gibt es auch viele Menschen auf dem Weg, die mit wenig Urlaubstagen gesegnet sind. So begegnen einem des öfteren Pilgernde aus Korea oder sogar China, die mit mehr als zwei Urlaubswochen schon Probleme haben und dementsprechend ganz andere Etappenplanungen betreiben als die verhältnismäßig „verwöhnten“ Europäer. Daher sollte hier nicht vorschnell geurteilt werden, wenn mal wieder Asiaten an einem vorbei rasen. Auch ansonsten steht es natürlich allen Pilgernden frei, selbst zu entscheiden, wie schnell der Weg begangen wird. Jedoch stellt sich die Frage, welchen Sinn es ergibt, ausgerechnet den Pilgerweg als Sportereignis zu begehen und nicht einen anderen Wanderweg.

Eben diese hübsche Herberge von außen – Castro, Asturien

Schaffe ich das überhaupt?

Was ist nun einerseits an körperlicher Leistungsfähigkeit und andererseits an materiellen Dingen notwendig, um einen Pilgerweg bestreiten zu können? Der erste Punkt hängt stark mit der Zeit (und dem Höhenprofil des Wegs) zusammen. Wer für 250km auf dem portugiesischen Weg nur eine Woche mitbringt, muss pro Tag ungefähr 30km zurücklegen. Wer sich dagegen drei Wochen Zeit lassen möchte, kann entspannt pro Tag 10km schlendern. Um herauszufinden, was es für einen bedeutet, 25km am Tag zurückzulegen, sollte das einfach mal an einem Wochenende an einem Samstag testen. Wer am nächsten Tag ohne Muskelkater aufwacht, besitzt zumindest die Basisverfassung für eine solche Strecke – und kann am Sonntag dann gleich nochmal testen, ob diese Streckenleistung wiederholbar ist.

Abhängig von dem Ergebnis könnte dann eine grobe Etappenplanung aussehen und ermittelt werden, ob alle 15, 20 oder 25km bis nach Santiago eine Unterkunft in greifbarer Nähe ist. Bei der Etappenplanung helfen zahlreiche Guides, die es für die bekanntesten Wege jeweils leicht zu finden gibt und die darüber hinaus Hilfestellung bei der Zusammenstellung der Ausrüstung sowie der An- und Abreise sowie den Gepflogenheiten und den Traditionen im Zielland geben. Ich selber bin beide Wege mit den Büchern von Raimund Joos gelaufen, doch hier scheiden sich die Geister. Mitunter werden die Autoren ähnlich vehement verteidigt oder abgelehnt wie bestimmte Fußballvereine. Es bietet sich daher an, überall einmal kurz in das Buch zu schauen. Alle, die mit GPS-Geräten umgehen können, finden darüber hinaus auch GPS-Tracks von den Caminos, so dass man sich auch wirklich unter gar keinen Umständen mehr verlaufen kann.

Landesgrenze zwischen Portugal und Spanien

Wer sich das Wandern mit der für einen Camino üblichen, vollen Ausrüstung – also einem Rucksack, der möglichst maximal 10kg ohne Wasser wiegen sollte – nicht zutraut, für den bietet sich eine Option, die den Weg trotzdem bestreitbar macht. Denn inzwischen gibt es Dienstleister, die das Gepäck für einen Obulus von 4-6 Euro von Unterkunft zu Unterkunft transportieren. Auf diese Weise ist das Pilgern selbst für Menschen mit Schultern- oder Rückenproblemen noch gut machbar. Das Wichtigste sind in jedem Fall gute Schuhe, die tunlichst eingelaufen sein sollten, um keine Blasen zu produzieren.

Welches Schuhwerk ansonsten am geeignetsten ist, dazu gehen die Meinungen auseinander. Auf den Wegen sind von Sandalen bis hin zu klobigen, festen Wanderschuhen alle Arten von Schuhwerk sichtbar. Ich selber bin beide Wege in letzteren gegangen und wurde nicht von Blasen heimgesucht. Allerdings lag das vermutlich daran, dass ich diese Art zu wandern gewohnt bin und die Schuhe seit über einem Jahrzehnt besitze. Im Zweifelsfall bietet es sich an, sich hier beraten zu lassen, aber in jedem Fall das Schuhwerk unbedingt vorher mehrere Tage einzulaufen.

Der Autor auf dem Camino Portugues zwischen Porto und Lavra

Wenn es um die Auswahl des konkreten Weges geht, so reduziert sich diese schon dramatisch je nachdem, wie viel Zeit zur Verfügung steht. Sowohl der Portugues als auch der Primitivo kann in zwei Wochen absolviert werden, entspannter wären zweieinhalb bis drei. Für die beiden längeren Wege, den klassischen Frances sowie den Camino del Norte an der nordspanischen Küste, benötigt man allerdings schon über einen Monat Freiraum. Wer dies nicht aufbringen kann, kann die Wege natürlich splitten und in zwei kleineren Urlauben absolvieren. Allerdings kann ich mir dies selbst wiederum nicht vorstellen, da die Begehung eines bestimmten Camino für mich auch nur in einen Urlaub gehört. Es gibt aber genug Menschen, die den Norte oder den Frances in mehreren Etappen laufen, um überhaupt eine Chance zu haben ihn zu absolvieren. Wer das Camino-Erlebnis nur einmal antesten möchte, kann sich für den Ingles entscheiden, der in einer halben bis ganzen Woche absolvierbar ist.

Wer nun zwischen dem Primitivo und dem Portugues schwankt, weil zwei Wochen machbar erscheinen, sollte noch in Betracht ziehen, dass es auf dem Primitivo Etappen gibt, die eine Überwindung von 800 Höhenmetern an einem Tag erforderlich machen. Ein gewisses Mindestmaß an Erfahrung bei der Überwindung von Anstiegen ist hier also notwendig, auch wenn natürlich keine Bergsteigerausrüstung benötigt wird.

Ein wegweisender Monolith in Galicien

Die Frage der Ausrüstung

Wie schon angesprochen, sollte maximal 10kg oder 10% des Körpergewichts an Ausrüstung mitgeschleppt werden, um nicht auf eine einstellige Anzahl an Kilometern pro Tag reduziert zu sein. Definitiv notwendig ist dabei ein einstellbarer Rucksack mit Schulter- und Beckengurt mit einem Packmaß von 30-35 Litern und ein Schlafsack aus Stoff oder ein sehr leichter Daunenschlafsack, um Indoor in den Herbergsbetten nächtigen zu können, die meist nicht mehr bereitstellen als eine leichte Decke. An Kleidung sollten 2-3 Sets leichte Funktionswäsche (Unterwäsche, Socken, T-Shirt) mitgeführt werden. Ein Flies für kältere Stunden sowie eine gute Regenjacke und zwei Outdoorhosen (einmal kurz, einmal lang) komplettieren die Kleidung.

Was sich ansonsten bei mir sehr bewährt hat, ist ein Camelbag mit einem Fassungsvermögen von 2-3 Litern sowie Wanderstöcke für sehr steile An- und Abstiege auf dem Primitivo. Ein Erste-Hilfe-Basisset muss darüber hinaus natürlich ebenso mit wie zahlreiche Hygieneartikel und ein Käppi oder Hut als Sonnenschutz. Der Rest ist fast schon Kleinkram, bei dessen Zusammentragen die Pilgerguides in Buchform oder die Communities in den sozialen Netzwerken gerne unterstützen.

Für viele das Objekt der Begierde: Die Compostela

Immanent ist außerdem die Mitführung eines Pilgerpasses, der simpel im Internet bestellbar ist (hier mit Zusatzinfos für 6 Euro, hier dieselbe Version für 2 Euro). Denn um im zuständigen Kirchenbüro in Santiago de Compostela, das eher an ein kommunales Servicebüro erinnert, auch die offizielle Compostela zu bekommen, muss nachgewiesen werden, dass zumindest die letzten 100km zu Fuß (oder die letzten 200km mit dem Rad) zurückgelegt wurden. Dies geschieht mit zwei Stempeln pro Pilgertag im Pilgerpass, die jeweils am Weg in Kirchen, Herbergen, Kapellen, aber auch in Cafés, Bars oder kleinen Läden gerne auf Nachfrage bereitgestellt werden.

Der Pilgerpass ist darüber hinaus aber auch notwendig, um in Herbergen aufgenommen zu werden. Auch wenn der Pilgerpass von jedem Menschen im Internet bestellt und ausgefüllt werden kann und ein leerer Pilgerpass zur Aufnahme reicht, wird es doch erwartet, einen mitzuführen.

Am Ziel: Die Kathedrale in Santiago de Compostela

Zusammengefasst

Wen das Pilgerfieber gepackt hat, aber tatsächlich noch nie gewandert ist, sollte sich vorher am Besten an Wochenenden erst einmal auf eine Tagesstrecke von 25 bis 30 Kilometern ohne Gepäck und ohne Muskelkater am Folgetag trainieren. Wer schließlich halbwegs sicher ist, dass kontinuierlich längere Wanderstrecken von 15 bis 25 Kilometern am Tag bewältigt werden können, muss gegebenenfalls nur die eventuell vorhandene Ausrüstung um wenige Dinge ergänzen, einen Pilgerpass und eventuell einen Pilgerführer in Buchform erstehen sowie An- und Abreise buchen. Mehr als eine grobe Etappenplanung ist dank der zahlreichen Unterkunftsmöglichkeiten nicht notwendig, die Pilgerführer geben hier ausreichend Hilfestellung. Darüber hinaus finden sich auch in den sozialen Netzwerken wie Facebook zahlreiche Pilgergruppen, in denen sich Pilgerneulinge und Erfahrene austauschen können.

Weitere Fotos und Momente der Camino-Wanderungen des Autors können in den Twitter-Moments zum Caminho Portugues und zum Camino Primitivo eingesehen werden.